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Heinz Rudolf KunzeLEO Glücksmoment
Heinz Rudolf Kunze© Martin Huch

Heinz Rudolf Kunze im Interview

Veröffentlicht am Montag, 28. November 2016

Sein Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ machte Heinz Rudolf Kunze 1985 deutschlandweit berühmt. Mit eingängigen, rockigen Melodien und intelligenten Texten ist der „Philosoph des Deutschrock“ bis heute sehr erfolgreich – und fast schon legendär produktiv. Allein 26 Studioalben hat Kunze seit 1981 veröffentlicht, quasi nebenbei übersetzte er Musicalhits wie „Les Miserables“ oder „Miss Saigon“ und schrieb rund 20 Bücher. Ende Januar ist der Mann mit der markanten Brille in Dessau zu Gast. Zuvor sprach der LEO mit ihm über seine Musik, seine besondere Beziehung zu Deutschland und über das Älterwerden.

Mit „Meisterwerke: Verbeugungen“ haben Sie Ende September zum ersten Mal ein Coveralbum veröffentlicht. Wie kam es dazu und wie haben Sie die Lieder ausgewählt?

Heinz Rudolf Kunze: Im Februar war ich unterwegs, um Werbung für mein eigentliches Album dieses Jahres, „Deutschland“, zu machen. Als ich in den Sendern und Redaktionsstuben das Album besprochen habe, hat mich die Firma „Starwatch“ angesprochen, ob ich Lust hätte, mit ihnen ein Coveralbum zu machen. Sie möchten daraus eine ganze Reihe entwickeln und hatten unter anderem an mich als Sänger von fremden Stücken gedacht. Sie fragten, ob ich mir so etwas vorstellen könnte. Da habe ich mir gedacht „Na gut, wenn Ihr mir das anbietet, dann mache ich das mal.“ Ich selbst hätte es von alleine wahrscheinlich nie getan und den Gedanken immer wieder auf die lange Bank geschoben, weil ich so viel eigenes Zeug habe, das Vorrang hat und immer zuerst raus muss. Aber wenn es mir jemand anbietet, Lust darauf hat und ein Budget dafür zur Verfügung, dann mache ich das halt. Dann habe ich mich hingesetzt und mehr oder weniger sofort 20 Titel und Namen aufgekritzelt, weil ich nicht lange nachdenken wollte. Wenn ich darüber nachdenke, komme ich wahrscheinlich nie zu einem Ende, weil es so unendlich viele Möglichkeiten gibt. Und das war dann das ausgesiebte, spontane Ergebnis.

Hat die Auswahl mit persönlichen Präferenzen zu tun oder ist es eher etwas, das Sie als Querschnitt der Musikgeschichte sehen?

Heinz Rudolf Kunze: Beides. Es sind nicht nur Lieblingstitel dabei. Ich denke, keiner der mich kennt, würde ernsthaft vermuten, dass „Ganz in Weiß“ zu meinen Lieblingstiteln gehört. Aber ich wollte auch ein paar öffentliche Verbeugungen vornehmen. Ich wollte Lieder dabei haben, die viel bewirkt haben und die große Breitenwirkung hatten. Weil es mich einfach wie einen Schauspieler interessiert hat, ob ich dieses Lied als Rolle annehmen kann.

Sie sind Musiker, Autor, Musikjournalist, Übersetzer, Hochschuldozent…und haben es trotzdem noch geschafft, allein in diesem Jahr zwei neue Alben zu veröffentlichen. Wie machen Sie das?

Heinz Rudolf Kunze: Ich weiß nicht, was andere immer davon abhält, warum die alle so faul sind. Ich könnte pro Jahr vier Alben machen, das wäre überhaupt kein Problem. •

Das heißt, Sie haben auch noch viel in Reserve?

Heinz Rudolf Kunze: Kompositionen habe ich selten in Reserve, die mache ich nur, wenn etwas ansteht. Aber Texte habe ich tausende in der Schublade.

Im Januar sind Sie bei Ihrem Konzert in Dessau ohne Verstärkung, also akustisch und solo, zu erleben. Kehren Sie damit zu Ihren Ursprüngen zurück, als Ihnen noch gern der „Liedermacher“-Stempel aufgedrückt wurde, oder wollen Sie einfach näher an Ihrem Publikum sein?

Heinz Rudolf Kunze: Weder, noch. Ich kann damit gar nicht zu meinen Ursprüngen zurückkehren, weil ich niemals in meinem Leben, vor August 2015, alleine aufgetreten bin. Ich habe immer mindestens einen Musiker dabei gehabt, weil ich mich gar nicht getraut habe, alleine einen Abend zu bestreiten. Das mache ich erst seit ungefähr einem Jahr. Insofern ist das für mich eine spät entdeckte neue Form, die mir viel Spaß macht. Ich habe den ganzen Abend voll unter Kontrolle. Natürlich bin ich auch den ganzen Abend ohne Ausruhmoment im Fokus. Ich kann mich nicht einen einzigen Augenblick hinter einem Solo eines Kollegen verbergen, bin immer dran, mit Sprache und Musik. Aber es gibt mir die Möglichkeit, den Leuten die Lieder so vorzuspielen, wie ich sie mir selber das erste Mal vorspiele, wenn sie fertig sind. In meinem Arbeitszimmer, wenn ich ein Lied fertig habe, klingt es eben auch so. Näher kommen die Leute wirklich nicht an mich ran. Näher geht nicht.

Was hat sich denn geändert, dass Sie sich jetzt auch ganz allein auf die Bühne trauen?

Heinz Rudolf Kunze: Mein Zutrauen in mich selbst. (lacht) Ich habe da drei oder vier Stücke allein gesungen und das kam so gut an, dass mein Management mich bearbeitet hat, hartnäckig und ausdauernd, mit Hypnose und allen verbotenen Kriegstechniken, bis ich letzten Endes Ja gesagt habe. Und das habe ich bisher auch nicht bereut.

Sie waren schon in den 80ern in der DDR auf Tournee, ihr aktuelles Buch ist ein Dialog mit Egon Krenz. Welche Beziehung haben Sie zum Osten Deutschlands? Kennen Sie Dessau bereits?

Heinz Rudolf Kunze: Dessau kenne ich inzwischen ganz gut, weil ich oft genug da war. Ich stamme aus dem Osten, meine Herkunft ist in der Lausitz. Ich bin durch einen reinen Zufall in einem Flüchtlingslager in Westdeutschland auf die Welt gekommen. Alle meine Verwandten sind in der DDR geblieben, nur meine Eltern sind mit mir nach Westen gegangen. Ich bin also eine deutsch-deutsche Teilungsexistenz. Meine Herkunft ist ostdeutsch, mein Aufwachsen ist norddeutsch, insofern fühlte ich mich immer zu beiden Deutschlands gehörig.

Das ist leider ja immer noch viel zu selten.

Heinz Rudolf Kunze: Ja, es gibt immer noch sehr viele Westdeutsche, die noch nie in Ostdeutschland waren, das ist richtig. Es gibt immer noch einen großen Mangel an Interesse und tiefe Mentalitätsunterschiede. Das wird auch noch lange dauern. Mentalitätsunterschiede gab es in Deutschland immer. Die Deutschen sind nur kurze Zeit in ihrer Geschichte ein Volk und ein Land gewesen, die meiste Zeit waren sie in viele kleine Einzelstaaten aufgesplittert. Das hat natürlich tiefe Spuren in den Mentalitäten hinterlassen. Der Schwarzwälder Schwabe oder Badener ist eben völlig anders als der Rostocker.

Sie haben sich schon immer für deutschsprachige Musik stark gemacht, haben dafür sowohl Kritik als auch Ehrungen erhalten. Heute wird quer durch alle Genres ohne Berührungsängste deutsch gesungen. Wie blicken Sie heute auf die deutsche Musiklandschaft?

Heinz Rudolf Kunze: Ich möchte mal vorsichtig sagen, dass es mehr geworden ist, heißt nicht unbedingt, dass es besser geworden ist. Qualität und Quantität sind immer noch zwei Paar Schuhe. Ich weiß auch nicht, wie oft ich das jetzt schon richtigstellen musste. Erstens ist diese Scheiße jetzt schon 20 Jahre her und zweitens habe nicht ich das gefordert, sondern ich habe das als Pressesprecher verkündet von einer Initiative von 650 deutschen Musikern. Also praktisch allen, die in diesem Land irgendetwas zu melden haben. Die haben das unterschrieben und gefordert, mehr deutsche Musik ins Radio zu bringen. Sie haben mich dazu bestimmt, es zu verkünden, weil ich zu diesem Zeitpunkt im Bundestag arbeitete, in einer Kulturkommission. Ich war dagegen! Weil ich es für Unsinn halte.

Es ging auch nicht um die vieldiskutierte Quotenforderung für deutsche Musik, sondern darum, dass Sie sich in Ihrer Karriere für deutschsprachige Musik einsetzen – und ja auch selbst deutsch singen.

Heinz Rudolf Kunze: Das ist richtig. Aber ich will damit ja keine englische Musik im deutschen Radio verhindern, wie es mir einige Medienidioten vorgeworfen haben. Uns ging es damals um eine faire Chance für die deutsche Sprache. Und ich war derjenige, der gesagt hat „Leute, lasst es sein. Hört auf mit diesem Blödsinn. So etwas ist in Deutschland nicht politisch durchsetzbar. Entweder, es kommt von allein, oder es kommt nie.“ Und so ist es am Ende dann ja auch gewesen.

Sind Sie also auch ein wenig enttäuscht, was aus dieser Chance gemacht wurde?

Heinz Rudolf Kunze: Ja. Ich bin ein wenig ratlos. Es liegt natürlich an dem Zusammenspiel zwischen Medien und Musikern. Ich habe das Gefühl, dass viele junge Musiker heute ganz ängstlich sich selbst schon alles wegdrücken und wegradieren, was irgendwie eckig und kantig und besonders sein könnte, weil sie einfach von der Todesangst gepeinigt werden, dass sie dann im Radio nicht stattfinden. Ich höre wenig junges Material, das mich aufhorchen lässt, das etwas Besonderes ist, bei dem man am Ball bleiben sollte. Ich bin allerdings auch nicht ständig auf der Suche.

Sie begehen Ende November Ihren 60. Geburtstag. Werden die Momente zahlreicher, in denen Sie über das Alter nachdenken?

Heinz Rudolf Kunze: Ach, ich habe schon, als ich noch nicht einmal 30 war, mit Mitte 20, auf meinem ersten Live-Album ein Lied gehabt, „Du also bist mein Tod“. Ich habe eigentlich über die Vergänglichkeit des Menschen, über das Alter, über den Tod schon immer nachgedacht in meiner Arbeit. Das ist, finde ich, auch ein Grundgedanke, der jeden beschäftigen muss, der ernsthaft schreibt. Tod, Liebe, Geld, Macht – das sind die vier Grundthemen, die auch jeden Kriminalfilm bestimmen, die das Leben bestimmen. Als Dichter kommt man darum also gar nicht herum. Als Privatmensch hat mich das sicher früher weniger beschäftigt. Das ist klar. Je länger das Leben dauert, desto größer ist auch der Vorrat an Erinnerungen, den man mit sich herumschleppt. Insofern verändert sich natürlich die Perspektive. Das kann man als junger Mensch noch nicht ahnen. Als junger Mensch ist man nur jung. Als älterer Mensch ist man mal jung gewesen und inzwischen etwas anderes. Man sieht, dass die Zeit, auf die man zurück blickt, allmählich länger wird als der Blick voraus. Zumindest nach menschlichem Ermessen. Ich weiß nicht, welche Wunder die Medizin noch verbringt. Aber unendlich werden wir wohl nicht sein.

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