"Musik, die nicht berührt, ist überflüssig"
Veröffentlicht am Dienstag, 26. Juli 2016
Die traditionellen "Köthener Bachfesttage" finden vom 28. August bis 4. September zum bereits 26. Mal statt. Die aktuelle Ausgabe des Traditionsfestivals stellt gleichzeitig die Premiere für Folkert Uhde dar. Anfang 2015 übernahm der Musikmanager aus Berlin die künstlerische Leitung der Festtage vom langjährigen Intendanten Hans-Georg Schäfer. Wenige Wochen vor dem Fest zeigte sich Folkert Uhde im LEO-Gespräch leidenschaftlich und freudig-gespannt – auch wenn er die Stadt und die Veranstaltungsreihe seit fast 25 Jahren kennt.
Herr Uhde, haben Sie Lampenfieber oder gehen Sie entspannt in das Festival?
Folkert Uhde: Naja, Lampenfieber hat man immer ein bisschen. Aber ich bin sehr hoffnungsvoll, die Resonanz ist wirklich ganz hervorragend. Deswegen bin ich sehr optimistisch, dass alles aufgehen wird. Dennoch muss natürlich am Ende noch alles klappen. Und, das ist sehr wichtig, das Wetter muss toll sein. Aber da das Frühjahr ziemlich durchwachsen war, gehe ich einfach mal davon aus, dass es Ende August großartig sein wird.
Welchen Bezug hatten Sie bisher zu Köthen?
Folkert Uhde: Anfang der 90er Jahre, da war ich noch Geiger, bin ich das erste Mal als Gast des Leipziger Barockorchesters bei den Bachfesttagen gewesen. Vor 24 Jahren sah die Stadt noch ein bisschen anders aus, ich kann mich aber noch ziemlich genau an diesen Eindruck erinnern und an dieses totale Erstaunen darüber, dass das Schloss noch da steht und diese ganzen anderen Orte. Natürlich war damals alles kurz vor dem Zerbröseln, aber ich habe da irgendwie etwas gespürt. Wir haben damals im kleinen städtischen Theater gespielt und danach habe ich für mich ganz alleine dieses Städtchen entdeckt. Und da ich seit meiner Kindheit ein Bach-Fan bin und schon immer Bach spielen wollte, war das für mich etwas ganz besonderes.
1994 habe ich dann als Musiker das erste Mal im Spiegelsaal gespielt. Seit 2000 war ich regelmäßig in Köthen, weil ich da schon Manager der Akademie für Alte Musik Berlin geworden war. Darüber habe ich Hans-Georg Schäfer kennengelernt und, da ich alle zwei Jahre da war, auch die Entwicklung des Ortes mitverfolgt. Den Aufbau des tollen Johann-Sebastian-Bach-Saals, des ganzen Veranstaltungszentrums, das ja eine unglaubliche Leistung ist. Der Saal ist, auch im internationalen Vergleich, einfach sensationell, spitzenmäßig. Ich habe also schon eine gemeinsame Geschichte mit der Stadt, was sehr schön ist und sich jetzt natürlich total intensiviert hat. Wenn man so eine Aufgabe übernimmt, muss man sich da ganz anders einbringen und sich damit beschäftigen. Kontakte vor Ort knüpfen und in ganz Sachsen-Anhalt, die Fäden bis hin nach Magdeburg spinnen – aber das macht sehr großen Spaß.
Was bedeutet Ihnen Johann Sebastian Bach?
Folkert Uhde: Bach ist irgendwie alles für mich. Er ist Anfangs- und Endpunkt. Ich habe seine Musik wie gesagt schon als Kind lieben gelernt und sie lässt mich einfach nicht los. Ich habe mich sehr lange damit befasst, wie man Bach „authentisch“ aufführen kann, mit den Instrumenten der Zeit, mit den Spieltechniken, mit dem stilistischen Empfinden seiner Epoche. Dann habe ich mir die Aufführungspraxis angesehen, Konzerte in der Form, wie wir sie kennen, gab es damals ja noch nicht. Das hat sich dann immer mehr erweitert, irgendwann kamen elektronische Mittel dazu. Man kann mit Bach einfach so unglaublich viel machen, ohne dass er verloren geht, weil seine Musik einfach so stark ist, dass man diese starke Wurzel immer wieder spürt. Dadurch bietet er ungeahnte Möglichkeiten, sehr frei mit ihm umzugehen, ohne dass der Kern verloren geht. Das ist total faszinierend und das kann man mit keinem anderen Komponisten machen, glaube ich.
Sie haben den Begriff „Konzertdesign“ geprägt. Was verbirgt sich dahinter und wie spiegelt es sich im Programm der Bachfesttage wider?
Folkert Uhde: „Konzertdesign“ meint natürlich nicht das schöne Dekorieren eines Konzertes. Design steht für einen sehr langwierigen Prozess, bei dem man sich schon am Anfang klar macht, was man am Ende haben möchte.
Das Eröffnungskonzert mit dem eigens für Köthen gegründeten „BachCollektiv“ wird zum Beispiel ein Konzert sein, das dramaturgisch völlig anders aufgebaut ist, als man es normalerweise so kennt. Da sind eben nicht drei bis fünf Stücke, die nacheinander gespielt werden, sondern sie werden von anderen unterbrochen. Es wird mit musikalischen Mitteln nicht unbedingt eine Geschichte erzählt, aber emotionale Zustände beschrieben. Es geht darum, vom Einzelnen ausgehend am Ende die Gemeinschaft zu feiern. Genau das machen wir mit dem „BachCollektiv“ – darum ist es ja auch ein Kollektiv. Es ist ein Ensemble aus Solisten, die von überall aus der Welt anreisen, sich in Köthen treffen, hier eine Woche verbringen und hoffentlich sehr viel Spaß miteinander haben. Es geht darum, die Gruppe und das gemeinsame Musizieren zu feiern. Dafür reicht es nicht, vier oder fünf Stücke hintereinander zu spielen, sondern wir verschränken Stücke ineinander, konfrontieren Solostücke mit Gruppenstücken, spielen mit allen Ecken der Kirche und auch ein bisschen mit der Lichtgestaltung, um diese Geschichte zu erzählen. •
Wie wollen Sie Menschen mit Berührungsängsten davon überzeugen, diese für sie neue „Alte Musik“ zu entdecken?
Folkert Uhde: Mir war es zum Beispiel total wichtig, bei den Bachfesttagen ein Schlossfest zu etablieren, eine zweitägige Großveranstaltung, das ganze Wochenende lang. Das ist insbesondere auch für Familien gedacht, mit einem großen Angebot, das einerseits umsonst und andererseits draußen ist. Da sind auch Artisten am Start, Geschichtenerzähler und eine ganz tolle Puppenspielerin, die gleichzeitig eine fantastische Bratscherin ist.
Während dieses Schlossfest-Wochenendes machen wir außerdem ganz viele kleine Konzerte, die ich „Halb- und Viertelkonzerte“ genannt habe. Weil ich einfach immer wieder die Erfahrung gemacht habe, dass viele Leute die Vorstellung abschreckt, zwei Stunden in einem Konzertsaal zu sitzen, inmitten ganz vieler anderer Menschen, und man traut sich nicht, da raus zu gehen, obwohl man eigentlich nicht mehr weiter hören möchte. Deshalb machen wir viele kurze Konzerte von 20-25 Minuten und laden gleichzeitig dazu ein, die Stadt zu entdecken. Denn wir bespielen ganz tolle Orte wie beispielsweise die Türmerwohnung in der Jakobskirche. Die liegt 88 Stufen über dem Marktplatz von Köthen, man hat eine ganz tolle Aussicht. Da werden einzelne Musiker spielen. Diesem ganz kurzen aber gleichzeitig auch ganz unmittelbaren Eindruck, weil dort eben nicht noch 300 andere Leute sitzen, sondern man zu Zwanzigst sitzt und einem Weltklassemusiker zuhört, eben so, wie es zu Bach-Zeiten üblich war, kann sich niemand entziehen, glaube ich. Und ich hoffe sehr, dass es gelingt, damit möglichst viele Menschen anzulocken.
Dann haben wir natürlich ganz unterschiedliche Formen. Francesco Tristano beispielsweise ist nicht nur ein hervorragender Bach-Pianist, er ist auch in der Techno-Welt unterwegs und macht in Köthen ein großartiges Projekt mit Visuals. Er hat eine Technologie entwickelt, wie er über das Spiel Visuals steuern kann, die über die „Goldberg-Variationen“ eine virtuelle Stadt entstehen lassen. Wir haben eine ganz tolle Gruppe aus der Schweiz da, die Bach mit Beats verbindet, „BachSpace“. Sie nehmen einen Bass, der im Original von Bach ist, lassen ihn ein bisschen anders klingen – und sofort ist man in einer sehr rhythmischen Welt, die trotzdem noch etwas mit dem Original zu tun hat. Das ist total interessant. Wir haben im äußeren Schlosshof eine Lautsprecherinst-allation, über die wir ein Bach-Stück für Geige und Elektronik abspielen. Wir übertragen Konzerte aus dem Veranstaltungszentrum nach draußen. Da gibt es eine Liegewiese, für die eine Designerklasse der Burg Giebichenstein in Halle ein riesigen Sitzmöbel in Form eines überdimensionierten Bassschlüssels entworfen hat. Wir laden also auch zum Chillen ein.
Ich denke, das sind sehr viele unterschiedliche Angebote, die hoffentlich auch ganz viele Menschen aller Altersgruppen ansprechen.
Beim Blick ins Programm fällt auf, wie atmosphärisch es geschrieben ist. Wie wichtig ist es Ihnen, bereits mit der Konzertankündigung Emotionen zu wecken?
Folkert Uhde: Ich glaube, das ist sehr wichtig, weil es den meisten Menschen einfach nichts sagt, wenn man schreibt, dass „BWV 248/16“ gespielt wird. Das ist etwas für Spezialisten. Aber worum es beim Musikhören geht – und das ist ja das Tolle an der Musik – ist, dass sie wie keine andere Kunstform unmittelbar anrühren kann. Viele Menschen laufen den ganzen Tag mit Kopfhörern herum und gestalten sich über das Hören von Musik eigentlich ihre Beziehung zur Außenwelt. So ist es auch umgekehrt: wenn man im Konzert sitzt, kann da unheimlich viel in einem drin passieren. Und das ist für mich eigentlich das Ziel: dass Leute ins Konzert gehen und nicht herauskommen und sagen „Das Stück hat mir gefallen“, sondern dass man da rausgeht und sagt „Wow, das hat mich wirklich berührt.“. Deswegen ist es mir wichtig, schon im Vorfeld zu kommunizieren, dass das auch tatsächlich möglich ist. Ich finde, wenn Musik nicht berührt, dann ist sie überflüssig. Und es gibt kaum etwas, das so berühren kann wie Bachs Musik. Denn aus irgend einem Grund hat man immer das Gefühl, dass es bei ihm eigentlich immer um alles ging, um Leben, Tod, Liebe und Leid. Das ist total phantastisch und das kann man einfach erleben. Dazu kann ich nur herzlich einladen.
Wie schwierig ist der Balanceakt, einerseits das klassische Klassikpublikum nicht zu verlieren und andererseits neue Zielgruppen zu erschließen?
Folkert Uhde: Ich finde das ehrlich gesagt nicht so schwierig. Natürlich gibt es von 100 Leuten immer zwei, denen schon die erwähnten Ankündigungen nicht liegen. Die wollen ihren Bach, und das ganz pur. Bei uns gibt es zwar auch Bach pur, aber eben etwas anders. Ich sage mir da immer, dass man vielleicht zwei Besucher verliert, aber 100 neue gewinnt. Die Chancen sind sehr viel größer als die Risiken, das habe ich im Laufe der Jahre gelernt. Und es ist überhaupt nicht so, dass das Vorurteil stimmt, dass ein älteres oder etablierteres Publikum, das seit Jahrzehnten zu Konzerten geht, nicht für eine neue Art, Musik zu erleben, zugänglich wäre. Ganz im Gegenteil, gerade da erlebe ich, wenn sie dann kommen, total große Begeisterung.
Wie reagieren die Musiker auf Ihre unkonventionellen Ansätze?
Folkert Uhde: Ach, ich arbeite nur mit Leuten, die wissen, worauf sie sich einlassen und die genau an dieser Art Konzerte auch Spaß haben. Es gibt inzwischen sehr viele Musiker, die gemerkt haben, dass es eigentlich gut ist, ein bisschen anders mit diesen Dingen umzugehen. Die mit einer ganz großen Offenheit und großem Vergnügen an ungewöhnlichen Sachen arbeiten. Denn letztendlich ist es auch für die Künstler eine interessante Erfahrung. Das ist ja nicht einseitig. Wenn das Publikum konzentriert ist, sich darauf einlässt, sich emotional berühren lässt, dann spürt man das auf der Bühne ja genauso. Das ist eine gegenseitige Resonanzbewegung, das ist total spannend. Je intensiver also das Erlebnis ist, desto intensiver ist es für beide Seiten – und es verstärkt sich gegenseitig. Bei allen, die es erlebt haben, findet das in der Regel eine ganz neue Resonanz und auch eine ganz andere Intensität von Begeisterung. Das ist ganz toll und deshalb macht es auch sehr vielen Musiker sehr großen Spaß.
LEO Glücksmoment
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