Zwischen Transparenz und Spiegelung
Veröffentlicht am Mittwoch, 28. August 2019
Am 8. September ist der Dessauer Höhepunkt des 100. Bauhausjubiläums erreicht: Das „Bauhaus Museum Dessau“ wird 21 Monate nach der Grundsteinlegung feierlich eröffnet. Zum Festakt für geladene Gäste wird am Vormittag Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet, aber auch viele weitere hochrangige Besucher aus Politik, Kultur und Gesellschaft. Ab 15 Uhr steht das Gebäude am Mies-van-der-Rohe-Platz 1, unmittelbar am Dessauer Stadtpark gelegen, für alle Neugierigen offen. Neben einem umfangreichen Rahmenprogramm kann bis Mitternacht auch die neue Dauerausstellung „Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung“, das Herzstück des neuen Museums, bei freiem Eintritt besichtigt werden. Allerdings steht jeweils nur ein Zeitfenster von 30 Minuten für jeden Besucher zur Verfügung – beim zu erwartenden Andrang sollen möglichst viele Gäste die Chance auf einen ersten Blick in die neue Präsentation erhalten. Denn dass das Interesse am „Bauhaus Museum Dessau“ groß ist, steht außer Frage. Zwar wurde der Baukörper in den letzten Monaten immer wieder heiß diskutiert und der Standort sorgte schon vor der Grundsteinlegung für Debatten. Aber zum ersten Mal in ihrer Geschichte kann die Stiftung Bauhaus Dessau nun in angemessenem und umfangreichem Rahmen intensive Einblicke in die weltweit zweitgrößte Bauhaussammlung geben. Und das ist nicht nur aus Sicht der Stiftung längst überfällig, sondern soll Touristen aus aller Welt ebenso begeistern wie alle Einheimischen. Das „Bauhaus Museum Dessau“ soll mehr als nur ein Museum sein, wie Dr. Claudia Perren, Direktorin und Vorstand der Stiftung Bauhaus Dessau, im LEO-Gespräch unterstreicht.
Vor über 40 Jahren wurde der Grundstein für die Sammlung der Stiftung gelegt, am 4. Dezember 2016
der für das Museum, das nun erstmals eine angemessene Präsentation dieses weltweit zweitgrößten Erbes ermöglicht. Mit welchen Gedanken und Gefühlen blicken Sie auf den 8. September?
Claudia Perren: Mit ganz großer Freude natürlich. Es ist auch eine ganze große Leistung des Teams der Stiftung, so einen Bau in so kurzer Zeit zu erstellen. Man muss immer bedenken, dass erst Ende 2014 die Finanzierung sichergestellt war. Dann haben wir einen internationalen Wettbewerb mit über 800 Einsendungen durchgeführt, den „addenda architects“, ein junges Büro aus Barcelona, gewonnen hat. Und wir freuen uns riesig, dass wir es schaffen, das Museum im Jubiläumsjahr zu eröffnen.
Der Bau selbst ist das Eine, das Andere ist natürlich die kuratorische Leistung, unsere Sammlung so umfassend zu präsentieren. Wir haben mit einem Kuratorenteam gearbeitet, mit internen und externen Experten, Szenografen, aber auch den Bauhaus-Agenten, die in enger Zusammenarbeit mit sehr jungen Leuten Vermittlungsformen entwickelt haben, die ziemlich neu und einzigartig sind.
In den letzten Monaten wurde hauptsächlich die äußere Hülle des Bauhaus Museums öffentlich diskutiert. Von entscheidender Bedeutung für die Stiftung dürften aber doch die berühmten „inneren Werte“ sein, also die Ausstellungsfläche. Wie blicken Sie auf die Bauarbeiten zurück und wie glücklich sind Sie mit dem Ergebnis?
Claudia Perren: Wir sind, das kann ich im Namen der Stiftung allgemein beantworten, mit dem Bau sehr zufrieden. Jede Baustelle hat Probleme, jeder Standort wird diskutiert. Das ist auch gut und richtig so. Gleichzeitig sollte man jedes Haus nicht nur nach der Fassade beurteilen. Ein Haus, das aus viel Glas besteht, ist nicht nur transparent. Jedes Glashaus – und auch jede Glasscheibe – schwankt immer zwischen Transparenz und Spiegelung.
Für uns ist wichtig, dass die Räume innen sehr viel von dem bieten, was wir uns immer vorgestellt
haben. Nämlich eine sehr große Offenheit, eine sehr große Verbindung zur Stadt. Es war uns wichtig, dass wir nicht nur das Museum für die internationalen Touristen sind, sondern auch ein kultureller Ort in und mit der Stadt. Das wird, denke ich, auch gut funktionieren. Wir haben jetzt schon sehr viele Vereine und Akteure in Dessau kontaktiert und mit ihnen gesprochen, was wir hier auf der Offenen Bühne gemeinsam machen können. Es ist ein sehr wichtiges Element, nach außen zu gehen, aber auch die Verbindung ins Obergeschoss zu haben, zur „Versuchsstätte
Bauhaus“. So heißt unsere Sammlungspräsentation, weil es uns ganz wichtig ist, dass es nicht nur um die einzelnen Objekte geht, die wir zeigen, sondern darum, was mit ihnen versucht wurde, wie sie entstanden sind und so weiter.
Gibt es Dinge am Museumsbau, bei denen Sie sich im Nachhinein etwas anders wünschen würden? Oder
wurden sie vielleicht sogar positiv überrascht?
Claudia Perren: Wenn man baut, kennt man die Dinge natürlich immer nur von Plänen und Modellen und hat seine Vorstellung davon. Was uns alle sehr positiv überrascht hat, ist die Großzügigkeit und Vielfalt an Möglichkeiten, die uns der Raum der Offenen Bühne bietet.
Und klar, mehr Geld wäre bei Bauprojekten immer besser. Dann könnte man bessere Materialien nutzen, bessere Ausstattung anschaffen etc. Aber auf der anderen Seite ist diese relativ raue Bauform auch etwas, das zum Bauhaus passt. Das Bauhausgebäude selbst ist ja auch nicht mit edlen Materialien errichtet, sondern eben auch ein recht rauer Bau. Von daher passt das alles schon so. (lacht)
Rund 1.000 Exponate sollen zur Eröffnung hier gezeigt werden. Die Sammlung der Stiftung Bauhaus Dessau umfasst jedoch fast das 50-fache davon. Wie wurden die zum Auftakt zu sehenden Ausstellungsstücke ausgewählt?
Claudia Perren: Es geht in der Ausstellung natürlich um die Objekte, aber nicht nur. Sie sind in eine größere Erzählung eingebunden. Wir haben dabei drei Schwerpunkte. Wir zeigen unsere Gründungssammlung von 1976, also die ersten 100 Objekte, die zu DDR-Zeiten den Ursprung bildeten. Das ist sehr spannend. Dann widmen wir uns 1926, also dem Jahr, in dem die Schule hier eröffnete. Da zeigen wir auch den gesellschaftlichen Kontext, denn es gab damals nicht nur positive Stimmen, das muss man klar sagen. Wie also wurde das Bauhaus in der Stadt begrüßt und welche Fragen haben sich die Bauhäusler gestellt? Der Kern zwischen diesen beiden Punkten widmet sich dem Bauhaus als Versuchsschule. Wie wurden die Prototypen hergestellt, wer war beteiligt, wie wurden sie ausgestellt, mit welchen Industriepartnern wurde kooperiert? Man kann also hinter die Kulissen dessen schauen, was wir heute als Design-Ikonen kennen.
Eine ganz wichtige Frage ist: Wie haben die Leute zusammengearbeitet? Das zeigen wir anhand von
von Schüler-Lehrer-Paaren. Das sind keine Liebespaare. Es geht darum, wer konkret mit wem zusammengearbeitet hat. Das ist für uns ein Mittel, um die Rolle der Frauen zu zeigen. Sie sollen nicht kollektiv in die Ecke gestellt und bedauert werden, sondern leisteten einen entscheidenden Beitrag. László Moholy-Nagy hat zum Beispiel mit Marianne Brandt sehr eng an bestimmten Dingen gearbeitet, er hat sie gefördert und beide haben viel voneinander gelernt. Gunta Stölzl und Klee sind ein weiteres Beispiel – und es gibt noch viele mehr. Es soll also ganz konkret gezeigt und nicht immer nur auf einer Metaebene diskutiert werden.
Wir haben die Ausstellung auch nicht als Dauerausstellung konzipiert. Wir integrieren drei Wechselausstellungen, die wir „Zwischenspiele“ nennen. Hier wollen wir ungefähr drei Mal im Jahr neue Objekte zeigen, andere Kuratoren und Institutionen einladen, mit Schulen zusammenarbeiten und experimentieren. Es ist uns ganz wichtig, dass die junge Generation mit ausstellt. Dadurch wird es immer wieder neuen Anlass geben, in das Museum zu kommen und über verschiedene Perspektiven zu diskutieren. Wir wollen eben nicht nur eine Sicht auf das Bauhaus
darstellen, sondern durch diesen Wechsel auch neue Forschungsergebnisse präsentieren und neue
Blickwinkel eröffnen, die dann gerne heiß diskutiert werden können.
Dass das Bauhaus Museum eben nicht nur ein Museum ist, war schon in der Bauphase zu erleben und soll ab 11. September mit dem Festival „Bühne Total“ besonders eindrucksvoll gezeigt werden. Was hat es damit auf sich? Claudia Perren: Da darf man natürlich noch nicht zu viel verraten. (lacht) Es geht vor allem um die performativen Künste, die damals am Bauhaus gelehrt wurden. Die Bühne war nicht nur Aufführungsort, sondern ganz wichtiger Bestandteil des Lehrplans. Die Studien von Bewegung, Körper, Kostüm und Raum flossen später auch in die Architektur und in Objekte ein. Die Bauhausbühne hat aber auch die Theater- und Tanzszene stark beeinflusst und tut es bis heute. Wir gucken also von der heutigen Zeit zurück und lassen die Akteure selbst durch ihre Performances erzählen, was sie am Bauhaus heute noch interessiert. Das ist für uns sehr spannend, weil sozusagen die Welt zu uns kommt und zeigt, wie sie was interpretiert und weiterentwickelt hat. Es wird ein sehr, sehr dichtes Programm werden. Hier ist also Tag und Nacht Spektakel.(lacht)
Die Museumseröffnung ist der unbestrittene Höhepunkt des Bauhaus-Jubiläumsjahres in Dessau. Wie geht es nach dem 8. September und dem Festival bis zum Jahresende weiter?
Claudia Perren: Wir haben für die Offene Bühne schon ein Programm vorbereitet. Hier wird es Aufführungen geben, Gesprächsrunden, Lesungen, auch Filmvorführungen. Nicht jeden Tag, aber in einem regelmäßigen Rhythmus, in einem Programm mit internationalen Partnern, aber auch vielen lokalen Akteuren. Wir werden intensivere Führungen für unsere Sammlungspräsentation anbieten. Im nächsten Jahr werden wir darauf aufbauen. Wir werden schauen, was gut funktioniert und was wir
noch anpassen müssen. Man kann nicht alles theoretisch vordenken, sondern muss sehen, was in der
Praxis erfolgreich umsetzbar ist.
Das nächste Jubiläum zeichnet sich bereits am Horizont ab: 2026 jähren sich das Richtfest und die Einweihung des Bauhausgebäudes sowie der Meisterhäuser zum 100. Mal. Wie wollen Sie die derzeit allgegenwärtige Bauhausbegeisterung bis dahin lebendig halten?
Claudia Perren: Wir denken noch nicht so ganz von einem Jubiläum zum nächsten. Aber wir überlegen natürlich, wie man diesen Schwung mitnimmt. Wir finden es ganz toll, dass das Interesse am Bauhaus durch die große Aufmerksamkeit im Jubiläumsjahr sozusagen weitergetragen wird. Wir merken auch, dass wir jetzt sehr viel mehr Besucher als sonst haben. Daher ist es wichtig, dieses Interesse aufrecht zu erhalten. Wir wollen, dass die Leute wiederkommen und wir wollen das große neue Publikum, das wir in diesem Jahr gewonnen haben, enger an uns binden. Auch durch das Programm, das wir hier im Museum machen. Weil wir so ausgebucht sind, bitten wir die Leute ja teilweise jetzt schon, uns einfach 2020 zu besuchen. (lacht)