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LEO Tagestipp
Chor
Chor "Fürstsingers"© Jörn Kerber

Laut, leidenschaftlich und mit viel Gefühl

Veröffentlicht am Donnerstag, 09. April 2020

Eigentlich wollte einer der renommiertesten Schulchöre Sachsen-Anhalts, die Dessauer „Fürstsingers“, am 18. April sein 20-jähriges Bestehen mit einem großen Konzert im Golfpark Dessau feiern. Eigentlich ist jedoch ein Wort, das man in diesen Tagen regelmäßig liest und hört. Denn angesichts der sich bei Entstehung dieser Zeilen fast schon stündlich verschärfenden Maßnahmen zur Eindämmung des Corona- Virus wurde das Konzert auf den 12. September verlegt. Da das eigentliche Jubiläum aber schon im Februar war und es sich ungeachtet aller Begleitumstände auch jetzt schon lohnt, einen intensiveren – und sehr unterhaltsamen – Blick auf die Chorgeschichte zu werfen, lassen wir auf diesen Seiten Steffen Schwalba ausführlich zu Wort kommen, unter dessen energiegeladener Leitung die „Fürstsingers“ gegründet wurden und noch bis heute aktiv sind.

Wie ging es im Februar 2000 eigentlich los – für Sie und den Chor?

Steffen Schwalba: Das Leben hält mitunter glückliche Umstände für einen bereit. Es war zwar nicht so, dass ich kam, sah und siegte, aber ein wenig halfen die Umstände. Das Fürst-Franz-Gymnasium in Dessau-Ziebigk hatte einen Musiklehrer und Chorleiter, der sich beruflich neu orientierte und damit der Schule abhandenkam. Ich selbst war zu dieser Zeit noch Referendar in Köthen und suchte schon nach einer passenden Anstellung als Musik- und Englischlehrer im regionalen Umfeld. So nahm ich mit dem Schulleiter des Fürst-Franz-Gymnasiums, Klaus Simon, Kontakt auf, der mich wiederum bis zum Ende meiner Referendarzeit mit dem Schulchor seiner Schule zusammenführen wollte.
So trat ich erstmalig nach den Winterferien im Februar 2000 einer versprengten Gospelgruppe von ca. 11 Schülern des Fürst-Franz-Gymnasiums gegenüber. Da wurde gar nicht lange gequatscht, sondern gleich Noten verteilt und los ging‘s. Ich habe diese Option so dankbar angenommen, nicht nur, weil ich mir damit Hoffnung auf eine sich abzeichnende Festanstellung in Dessau machte, sondern viel mehr auch, weil die Schüler mir dort eine so grundsätzliche Sympathie und Aufgeschlossenheit entgegenbrachten, dass ich gar nicht anders konnte, und bald schon gar nicht mehr anders wollte.
Unter der Woche war ich ja immer in Köthen an der Schule, aber an den Dienstagnachmittagen flog ich dann in Ziebigk ein. Das muss sich wohl dort ganz gut herumgesprochen haben, weil die Anzahl der Sänger mit jeder Woche anstieg, ohne dass ich vor Ort hätte irgendwelche Werbung machen können. Vier Monate später, zum Ende des Schuljahres, hatten wir dann ca. 28 Schülerinnen und Schüler, die in diesem 4-stimmig gemischten Chor sangen. Es musste ein Name her, der irgendwie passte, mit dem man sich identifizieren konnte. Und so machten wir „Fürstsingers“ klar, weil wir bei einer Stellprobe für einen Auftritt im Berufsschulzentrum zu lange warten mussten, zu viel Langeweile hatten und irgendwie in der Namensfindung schöpferisch im Flow waren.
Keiner von uns hätte seinerzeit geglaubt, dass das über die Wirren der Bildungspolitik im Land, Schulschließungen, Schulfusionen, Abordnungen, etc. so viele Jahre hält, dass so ein Schulchor, ganz ohne Anbindung an eine musikalische Profilbildung eines Gymnasiums, ohne dass man hätte im Sinne der musikalischen Ausbildung von Kindern und Jugendlichen organisatorische Akzente und Schwerpunkte setzen können, noch nach 20 Jahren besteht, dass mittlerweile unter gleichem Namen 74 Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Philanthropinum in diesem Ensemble vereint sind. Ich kann es mitunter selbst nicht glauben, bin begeistert und gewiss auch stolz, aber ich gebe so gern jeden Dienstagnachmittag den Choristen das zurück, was sie mir über all die Jahre so selbstlos geschenkt haben.

Dass ein Schulchor auch öffentlich auftritt, ist nicht ungewöhnlich. Die „Fürstsingers“ haben sich aber inzwischen zu einer echten Institution entwickelt und standen schon mit „L’Arc Six“, „Den Prinzen“ und vielen anderen auf der Bühne. Was macht Ihr Chor anders als die anderen?

Steffen Schwalba: Na, mit der Frage wollen Sie mich doch aufs Glatteis führen!? Ganz gewiss liegt es nicht daran, dass die anderen Chöre alle Mist und nur wir unwiderstehlich sind! Nee, nee, nee! (lacht) Die anderen leisten ebenso ganz hervorragende Arbeit. Vielleicht sollten wir in der Zukunft eher mal mehr zusammen machen. Aber das ist ein anderes Thema.
Ich glaube, dass es im außerschulischen und im Freizeitbereich zunehmend schwer geworden ist, aufgrund der Personalsituation verlässlich Angebote vorhalten zu können, und Jugendliche bei der Vielzahl ihrer Verpflichtungen und Aktivitäten langfristig zu binden. Diese beiden Seiten braucht es aber, um den Unterschied zu machen. Ich rede mir ja nun schon seit Jahren den Mund fusselig, dass wir endlich in Dessau-Roßlau ein Musikzweiggymnasium brauchen, damit wir im Speckgürtel des Anhaltischen Theaters, der Anhaltischen Philharmonie, des Kurt-Weill-Festes, der Musikschule Dessau, des Bauhauses, der umliegenden Kirchgemeinden und all der vielen Institutionen, die ein Potential sehen und erheblichen Bedarf haben, verlässlich und nachhaltig Kooperationen im Sinne einer qualitativ ansprechenden schulischen Ausbildung absichern können.
Bislang funktioniert ein solches Projekt wie die „Fürstsingers“ weitestgehend als Hobby, ehrenamtlich, an Wochenenden, irgendwie in der Freizeit, und die Schule hat nur begrenzt Möglichkeiten, diese Aufwendungen im Stundendeputat irgendwo abzubilden. Das ist für mich so schlimm nicht, jedoch muss ich meine Choristen im Blick behalten, die logischerweise Schwerpunkte im Sinne ihrer Schullaufbahn ganz anders setzen müssen. Alle haben 34 bis 36 Wochenstunden Unterricht und nur ein bis zwei Stunden Musik. Diese schwierige Ausgangslage führt dazu, dass der einzelne Fürstsinger zwischen allen Stühlen sitzt und nicht weiß, wem „Fürstsingers“ vor allem ein Verdienst der Schüler in dieser Stadt, die es schaffen, alles irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Sie sind Überzeugungstäter! Man kann also keinem anderen Chor oder musikalischen Ensemble vorwerfen, dass sie nicht so in aller Munde sind, denn mitunter reichen die Kräfte bei den vielen alltäglichen Erwartungen nicht aus, um beständig vorn an der Rampe zu stehen. Manche sind vielleicht auch etwas stiller aber weiß Gott qualitativ nicht schlechter. Die „Fürstsingers“ sind halt laut, und bestimmt ist ihr Chorleiter einen Tick extrovertierter. (lacht)
Aber mal ganz ernst, ich bin noch ganz gut beieinander, die Gesundheit ist mir wie der Sonnenschein gewogen, ich habe eine Therapeutin, die mich wieder gerade biegt, wenn ich Rückenschmerzen habe, und – ganz ganz wichtig – ich habe eine Frau, die diesen Zauber mitträgt, eine Familie, die mich da einfach machen lässt und mir den Rücken freihält. Sonst könnte ich das so nicht leisten. Unsere Söhne, Till und Carl, hatten gar keine andere Chance, als bei den „Fürstsingers“ mitzusingen und den Klavierpart zu übernehmen, denn ich hatte sie mit Erfolg mit verbundenen Augen am Fußballplatz vorbeigeführt. Bei Trixi Herrmann haben sie an der Musikschule so hervorragend Klavier gelernt, dass sie maßgeblich den Chorklang tragen konnten. Somit haben auch sie ihre Aktien daran, dass für die nachfolgenden Pianisten der „Fürstsingers“ die Messlatte ansprechend hoch liegt.
Ein weiteres Phänomen sehe ich darin, dass wir mmer wieder Förderer und Unterstützer in der Dessau-Roßlauer Öffentlichkeit finden konnten, die uns über all die Jahre treu begleitet haben, die mit Zuspruch und mit finanzieller Unterstützung dazu beigetragen haben, dass wir Projekte und Vorhaben angehen konnten, die ganz sicher über den normalen Umfang chorischer Arbeit an einer Schule hinausgehen. Ohne den Förderverein des Gymnasiums Philanthropinum, ohne das Wohlwollen der Vielen in all den Jahren, ohne die Mithilfe der Choreltern wäre vieles nicht möglich gewesen. In Dankbarkeit stelle ich fest, dass auch dieses einen Unterschied macht. Last but not least, manchmal ist es auch ein gewisser Instinkt. Man braucht einen Riecher, wo die musikalische Reise erfolgversprechend hingehen kann. Was ist mit der derzeitigen Besetzung der „Fürstsingers“ machbar? Der naturbedingte Wechsel in den Stimmgruppen – am Ende bestehen sie ja doch alle das Abitur! – führt dazu, dass ich von Jahr zu Jahr schauen muss, welche musikalischen Vorhaben machbar sind, welche Arrangements für wen wie anzupassen sind, welche ich grundsätzlich neu schreibe, damit die „Fürstsingers“ ein Erfolgserlebnis haben, und welche Musik gerade angesagt ist. Offensichtlich habe ich dafür ein schnelles und gutes Händchen.
Wieder eine viel zu lange Antwort! (lacht)

Was sind für Sie die besonderen Höhepunkte der Chorgeschichte?

Steffen Schwalba: Für mich persönlich sind es die Schüler selbst, die ich jede Woche sehen darf, die mir meinen Alltag so unvermittelt spontan und erschreckend schonungslos abwechslungsreich gestalten. Manche Choristen bezeichnen schon die Chorprobe als das Highlight der Woche. Nun, sie tun mir eigentlich leid, wenn sie um die 16 Jahre herum schon eine Chorprobe als ihr Highlight bezeichnen. Was machen die in ihrer Freizeit? Was machen die falsch? (lacht) Aber wahrscheinlich beziehen sie die Aussage nur auf ihren Schulalltag, und da ist es bestimmt nicht schwer, mit den „Fürstsingers“ gegen Praktikumshefter, Mathearbeiten, Power-Point-Präsentationen und chemische Experimente auf Platz Eins zu landen. Was ist nur los mit der Jugend, wenn die Woche für sie gleichbedeutend mit dem Schulalltag ist? Na gut, als Pädagoge werde ich mal dran arbeiten. (lacht)
Aus Sicht des Chores sind es aber eine ganze Reihe dankenswerter musikalischer Erlebnisse, die ich eigentlich überhaupt keinem Ranking unterziehen möchte. Sie stehen für sich und verdienen keinen Vergleich. Da spule ich einfach mal ab: wunderschöne Konzerte in den Kirchgemeinden Melanchthon, Auferstehung, Petrus und Herz Jesu in Roßlau, Konzertreisen nach Ahrensburg, Aabenraa (Dänemark), jetzt erst nach Bargteheide und Bad Oldesloe (Schleswig-Holstein), gemeinsam mit den Prinzen, mit l’arc six, der Jugend-Big-Band, Klangbezirk, Vokalrausch- Festival, zum Kurt-Weill-Fest mit Antony Hermus und der Anhaltischen Philharmonie, zum Bürgerfest bei der Eröffnung des Bauhaus Museums, unschlagbar Christoph Reuter, der mit uns einen ganzen Tag ein Coaching betrieb und am Abend sein Soloprogramm mit den „Fürstsingers“ fuhr, das „Melanchthon-Oratorium“ unter seiner Leitung mit dem Laurentius- Orchester und den Streichern der Musikschule Dessau, das Musical „Anhalt – Genial Anders“ im Zuge von „800 Jahre Anhalt“ gemeinsam mit der Theater- und Tanzgruppe des Philanthropinums und der Band „Nomax“, 10 Jahre „Fürstsingers“ mit der Schülerband des Liborius-Gymnasiums „De10tion“ und und und.
Ich habe bestimmt die Aufzählung nicht vollständig. Aber am liebsten machen wir das, was wir am besten können – Kommen, Singen, Gehen. Ohne Schnickschnack, ohne Technik, einfach live, gern auch mal ein falscher Ton, aber unbedingt ein Publikum glücklich machen.

Was hat es mit den „Fürstsingers Reloaded“ auf sich?

Steffen Schwalba: Das sind die Versprengten, die die Finger nicht davon lassen können. Aus der Nummer bin ich raus! (lacht) Manche ehemaligen Choristen der „Fürstsingers“ haben wohl in der Ferne nicht das wiedergefunden, was sie schon kannten. Also hilft Facebook, sie fanden andere mit dem gleichen Problem, kannten sich zwar nicht, weil sie die Abiturjahrgänge 2003 bis 2017 repräsentieren, schlossen sich aber dennoch zusammen und fragten bei mir an, ob man sich nicht vielleicht fünfmal im Jahr an Wochenenden treffen könnte, um gemeinsam zu proben. Natürlich doch.
Mittlerweile ist das ein Verein „Fürstsingers Reloaded e.V.“, ich schreibe die Noten für sie, schicke das via Mail rum, sie bauen ein paar Übe- Tracks und kommen dann am Freitagabend aus allerlei Himmelsrichtungen in Dessau vorstudiert an. Sonntagmittag haben wir uns dann zusammengesungen, jeder geht wieder seiner Wege und spürt noch ein wenig das Erlebte nach. Das machen wir nun schon seit über vier Jahren. Für mich ganz angenehm, denn ich muss nur leiten, dirigieren und hin und wieder meinen Senf dazugeben. Der Rest läuft in Eigenregie, und ich hüte mich davor, im Vorstand des Vereins eine tragende Rolle zu spielen. Das ist eigentlich ganz schön so, denn ich muss nicht irgendwo hin, sie kommen alle zu mir hierher, stecken noch irgendwie im Studium, in der Promotion, beginnen grad ihr berufliches Dasein, bauen ein Haus, ihr eigenes Heim, bringen teilweise ihre sehr, sehr kleinen Kinder mit – und irgendwie habe ich das alles schon ganz gut hinter mir. (lacht)
Sie sind stimmlich reifer als so ein Schulchor, man hat eine andere stimmliche Präsenz vor sich, die Probenarbeit läuft stringenter, und damit ist das musikalisch für mich etwas ganz anderes. Ich liebe die „Fürstsingers“ in der Schule auch für das Typische bei Teenagern, nämlich ihre situationsbedingten Befindlichkeiten. „Fürstsingers Reloaded“ ist da deutlich abgeklärter, schneller und stärker auf dem Punkt und damit eine ganz angenehme Herausforderung.

Wie geht es im Jubiläumsjahr und darüber hinaus weiter?

Steffen Schwalba: Wir peilen erst einmal die nächsten Jubiläen an – 25 Jahre Fürstsingers, 30 Jahre Fürstsingers, 40 Jahre Fürstsingers – das ist bei dem derzeitig zu erwartenden Renteneintrittsalter für mich ganz realistisch. (lacht)
Erst heute habe ich eine Anfrage für einen Auftritt der „Fürstsingers“ im Schlosspark Theater Berlin für den kommenden September erhalten. Daran hätte ich heute Morgen noch nicht gedacht. Von daher, die Dinge kommen immer recht spontan und schon gar nicht dann, wenn man damit rechnen würde. Ich bin da ehrlich gesagt genauso gespannt wie Sie. Aber eins will ich mir und den „Fürstsingers“ bewahren: Wir sind ein Schulchor des Gymnasiums Philanthropinum Dessau. Wir sind sehr stolz darauf! Wir kommen aus dieser Stadt, wir sind hier fest vernetzt, verwurzelt und bestens aufgehoben. Für das Publikum hier vor Ort singen zu können, etwas zurückzugeben, Zuversicht zu verbreiten und vielleicht auch zu berühren – das ist das Größte. Wir sollten in der Zukunft daran so viel nicht ändern.

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