Wir wollen einfach nur gutes Theater machen
Veröffentlicht am Mittwoch, 26. August 2020
Das Anhaltische Theater Dessau war Mitte März eine der ersten Kultureinrichtungen der Stadt, die von den pandemiebedingten Schließungen betroffen war – mitten in der Spielzeit und im Kurt Weill Fest. Die anfänglichen Hoffnungen, die Unterbrechung könnte nur wenige Wochen dauern, wurden schon bald durch die Verkündung des vorzeitigen Spielzeitendes zerstreut. Am 4. September kann es nun aber endlich wieder losgehen. Anders als gewohnt, mit einem Spielplan, der vorerst nur bis zum Ende des Jahres gilt, unter außergewöhnlichen Bedingungen und mit kreativen Konzepten. LEO sprach mit Generalintendant Johannes Weigand über die Höhepunkte der kommenden Monate und vor allem darüber, was es bedeutet, in Zeiten von Corona Theater zu machen.
Wie war die Stimmung unter den Kollegen während des Lockdowns– und vor allen Dingen, wie ist sie jetzt, wo es endlich wieder losgehen kann?
Johannes Weigand: Es ist auf jeden Fall klar, dass alle sehr happy sind, dass wir in allen Abteilungen wieder arbeiten und auch niemand mehr auf Kurzarbeit 0 ist. Es war schon relativ trickreich, herauszufinden, was wir denn machen können. Wir waren im Grunde bis zu den Pfingstferien in einer Art Lockdown. Das heißt, die Planungsabteilungen waren erst ab Juni wieder da und wir hatten dann drei Wochen Zeit, uns zu überlegen, was wir machen. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem alle dachten, es wird alles wieder schön, weil ja jetzt die Ferien anfangen. (lacht) Es gab also relativ viel Druck, einfach so weiterzumachen wie vorher. Jetzt sind wir aus den Ferien zurück und es stellt sich heraus, dass das, was wir geplant haben, vielleicht gar nicht so dumm war, weil es im Szenischen eben eher kleine Formate sind.
Es wird in der Öffentlichkeit im Moment so großer Wert darauf gelegt, wie viele Zuschauer man versammeln und setzen kann. Das ist nur eins der Probleme. Das andere ist, wie viele Leute man denn überhaupt auf diese Bühne stellen darf. Sowohl Schauspieler, wenn sie laut sprechen, natürlich Sänger und auch Tänzer, die bei der Arbeit logischerweise ins Schwitzen geraten, haben grundsätzlich einen Mindestabstand von sechs Metern einzuhalten. Bei den Tänzern kommt noch hinzu, dass man den Boden nach dem Betreten durch einen Tänzer wischen muss, bevor der nächste drauf darf. Beim Orchester sind wir jetzt bei 1,5 bis 3 Meter angekommen, je nach Instrument. Da sieht man also schon, dass es momentan eher schwierig ist, normale Oper zu denken.
Der Chor probt derzeit in Viergruppen, weil mehr Personen nicht in den Chorsaal dürfen. In Räumen sind pro Person 20 m² Platz einzurechnen und nach einer gewissen Zeit ist für 20 Minuten zu lüften, um die Gefahr durch Aerosole in abgestandener Luft einzuschränken. Auch die Garderoben dürfen nur noch von einer Person belegt sein. Und man muss natürlich zwischen unterschiedlichen Belegungen jedes Mal den Raum desinfizieren. Die Darsteller dürfen ihre Kostüme nicht angezogen bekommen, sondern müssen sie allein anziehen können, wegen der 1,50-Meter-Abstandsregel, die überall gilt, für uns aber besondere Folgen hat. Bei einer Kostümprobe, wo es gar nicht anders geht, braucht es eine FFP2-Maske und noch ein Schild davor. Das Hygienekonzept, das wir für unsere Arbeit geschrieben haben, umfasst 17 A4-Seiten und muss von jedem Kollegen quittiert werden. Wenn das alle sozusagen „verinnerlicht“ haben, können wir uns endlich unserer eigenen Arbeit widmen, nämlich dem Kreativsein und Theatermachen.
Ich würde unser Programm bis Weihnachten als eine Art „Mischkonzept“ bezeichnen, weil es sich in jede Richtung ändern kann. Wir haben einige Stücke, die wirklich klein sind. Das sind Formate, die weder für das Riesenhaus noch für die kleinen Studios gehen – deswegen versuchen wir, so eine Art Zwischenlösung zu finden. Also einen Grundraum, der sich aus unserer Raumbühne speist. Gleichzeitig üben wir aber auch schon das Spielen in den Saal, bei dem wir einen Mittelgang eingerichtet haben. Unsere derzeit fünf Konzertprogramme und das weihnachtliche Programm können in der normalen Zuschauersituation stattfinden. Wir versuchen im Herbst auch schon, mit zwei anderen Produktionen in der „normalen“ Richtung zu spielen. Mit wenig Leuten, möglicherweise auch verstärkt oder mit Masken. Man probiert jetzt an allem möglichen herum, um zu ermöglichen, dass sich zwei Schauspieler, die ihren Text aufsagen, auch mal auf drei Meter nähern können, das ist ja klar. (lacht) Das ist ein kompliziertes, aber eben auch ein kreatives Vorgehen. Es sind Ein-, Drei- und Vier-Personen-Stücke, bei der antiken Tragödie „Die Eumiden“ sind es sechs Sprechchor-Damen, wir steigern uns bis zum Sieben-Personen-Stück. Man versucht also, nach und nach aufzubauen und eigentlich all die Erfahrungen zu machen, die man braucht, um dann im neuen Jahr nur noch nach vorne spielen zu können.
Wir müssen uns auf jeden Fall darauf einstellen, dass wir bis zum Ende der Spielzeit zumindest keine völlig normale Situation haben werden. Denn eine Infektion darf hier nicht passieren. Ich weiß, dass in Dessau viele denken, sie wären auf einer Corona-freien Insel. Aber das Virus ist nicht so weit weg, wie man gern denkt. Unsere Leute wohnen ja auch relativ verstreut und nicht nur in Dessau. Das ist also durchaus ein ernstes Ding, das man nicht vergessen darf. Natürlich haben alle Sehnsucht danach, ganz normal zu spielen. Denn am schönsten ist es bei uns, wenn die Bühne voll ist und der Zuschauerraum auch. Wenn alle eng beieinander sind und „Im Salzkammergut, da kann man gut lustig sein“ singen. (lacht) Danach sehnen sich alle. Solange das nicht geht, muss es aber natürlich auch eine Möglichkeit geben, gutes Theater zu machen. Gute Musik, gute Theaterformate und eben auch eine Operette. Und eine Uraufführung. Der Anspruch ändert sich ja nie.
Das Eröffnungskonzert gibt es vom 4. bis 6. September gleich fünf Mal vor dem Mausoleum im Tierpark. Was erwartet das Publikum, künstlerisch und organisatorisch?
Johannes Weigand: Wir haben mit dem Spielort vor dem Mausoleum sehr gute Erfahrungen gesammelt und wollen dort auch jedes Jahr vor dem Spielzeitende konzertieren. Mit der Eröffnung hatten wir nun quasi gar keine andere Wahl, als dorthin zu gehen. Es musste ein Ort sein, an den kein Publikum unkontrolliert kommen kann. Beim Konzert vor unserem Haus haben wir zwar 500 Sitzplätze abgesperrt, aber die Leute stehen wie eine Traube um die Bühne. Und das ist im Moment eben verboten. Im Tierpark haben wir drei Eingänge und drei Sitzblöcke, die nicht miteinander in Berührung kommen. Im vorderen Bereich gibt es immer Doppelplätze, hinten ist jeweils Platz für bis zu vier Personen, also zum Beispiel Familien oder zwei Paare.
Das Programm ist mit rund 70 Minuten natürlich etwas kürzer, um zwei Mal hintereinander spielen zu können und der großen Nachfrage gerecht zu werden. Der Ablauf ist ähnlich wie unsere regulären Eröffnungskonzerte. Auf der relativ großen Bühne verteilen sich eben nur weniger Orchestermusiker und ein Chor würde auch nicht gehen. Aber die Solisten sind zu erleben, unter anderem unsere neue Sopranistin Ania Vegry sowie ein Gasttenor. Eigentlich war ja schon eine ganze Spielzeit geplant, auch mit großen Produktionen, von der wir das Herbstprogramm jetzt um genau ein Jahr verschoben haben, aber das Programm der zweiten Spielzeithälfte haben wir noch in Planung. Das Wetter ist hoffentlich auch so, dass es den Leuten sehr viel Spaß macht. Bisher hatten wir da immer relativ viel Glück.
Wird die Raumbühne, die im vergangenen Jahr für „Violett“ entstand, nun bis zum Jahresende zum Hauptspielort?
Johannes Weigand: Das würde ich nicht so sagen. Wir haben sechs Konzertprogramm, die raus in den Saal gehen. Ebenso zwei weitere Stücke. Mit der Raumbühne haben wir aber eine Grundstruktur, die einen Raum schafft, der vor allem auch akustisch funktioniert. Mit „Pinocchio“ haben wir zum Beispiel ein Puppensolo mit einer Puppenspielerin – das funktioniert nun wirklich nicht im großen Saal. Und es geht auch nicht auf der Puppenbühne, denn da sind die Räumlichkeiten und Zuwege zu beengt. Ziel war es also, ein Bühnenbild zu schaffen, in dem alle darstellenden Sparten des Hauses etwas machen können. Jetzt müssen wir gucken, wie das funktioniert und wie viel wir darauf anpassen können. Zumindest für zwei kleine Kammeropern, zwei kleine Kammerstücke und wahrscheinlich auch die Puppe sollte das klappen.
Wenn wir für Ende Januar den „Rigoletto“ planen, ist es aber gleichzeitig natürlich auch gut, wenn wir vorher schon szenisch mit dem großen Raum zu tun hatten. Denn zum Beispiel für den Ton ist die jetzige Situation mit den relativ kleinen Stücken eine völlig andere. Das muss man jetzt eben erproben. Alle müssen ihren Weg finden, um mit Corona zu arbeiten. Dass wir alle vernünftig arbeiten können ist die absolute Bedingung, dass überhaupt jemals ein Zuschauer etwas davon hat. (lacht) Wichtig ist mir, dass wir mit fast allen Programmen hier in unserem Haus sind. Denn wir können den Zuschauern hier auch ganz gut Sicherheit bieten. Der Mensch, der kommt, will ja nicht das Gefühl haben, dass er hier eine Notsituation betritt, sondern er muss aufgehoben sein. Er muss auch gut instruiert sein, denn natürlich müssen auch wir die Kontaktdaten erfassen. Es muss also ausreichend Platz geben, dass man dabei nicht bedrängt zusammenstehen muss. Deshalb bin ich auch relativ froh, dass es erst einmal nur rund 100 Zuschauer sind. Wir haben hier in diesem riesigen Haus die Möglichkeit, 100 Leute sicher durch anderthalb Stunden Theaterbesuch zu bekommen.
Die einzigen, die jetzt aushäusig sind, ist das Ballett. Das tritt im Bauhaus Museum auf, weil sich dort eine besondere Lösung für das Abstandsproblem umsetzen lässt. Wir bauen vier Bühnen für vier Tänzer auf, die Zuschauer sitzen in der Mitte auf Drehhockern und sehen sich das Programm drehend an. „Staging the Bauhaus“ auf der Bauhausbühne machen wir natürlich auch wieder.
Bei den Schulen, wo uns im Juni noch alle ausgelacht haben, weil wir uns nicht darauf verlassen wollten, dass sie im Herbst wieder reihenweise zu uns kommen werden, hat sich das nun ja eher bewahrheitet. Natürlich wird mal eine Klasse irgendwohin können. Aber dass sie dann auf zehn andere Klassen trifft oder unsere Vorstellungen wie das Weihnachtsmärchen mit 1.000 Kindern stattfinden können, scheint eher unwahrscheinlich. Aber wir haben ein Klassenzimmerstück, das von der Oberstufe bereits sehr häufig angefragt wurde. Doch auch da müssen wir erst einmal gucken, denn so richtig weiß ja noch keiner, wie es weitergeht.
Sie selbst inszenieren die musikalische Tragödie „Die menschliche Stimme“, die am 24. September Premiere hat. Ein Pianist, eine Sängerin, ein Stück über innere und äußere Distanz – ist das sozusagen ihr ganz persönlicher Kommentar zur Krise?
Johannes Weigand: Nein, ich bin kein Kommentator. Aber wir haben schon überlegt, Stücke und Stoffe zu nehmen, die uns aus der Situation heraus einfallen. Der Text des Stückes ist aus den 20er Jahre, die Musik entstand in den 40ern. Es geht um eine verlassene Frau, die einzig über das Telefon und über die – wirkliche oder eingebildete – Stimme dessen, der sie verlassen hat, überhaupt noch Kontakt zur Außenwelt hat. Also quasi der völlige Lockdown aus privaten Gründen. Das Stück ist im Original mit Orchesterbegleitung, aber der Komponist hat sich das selbst für Klavier geschrieben, weil er mit der Sängerin der Uraufführung auf Tournee in Amerika war. Damit ist es authentisch. Und mit der Klavierbegleitung hat es auch einen Grad der Abstraktion, der es aus meiner Sicht noch spannender macht. Francis Poulenc ist sowieso mein Lieblingskomponist, leider hat er nur drei Opern geschrieben. Und hier ist unsere neue feste Solistin Ania Vegry zu erleben, die eigentlich schon in der letzten Spielzeit beim „Barbier“ gesungen hätte. Und es ist einfach tolle Musik. Poulenc war auch ein großer Liedkomponist, der sich in den 20er Jahren unter anderem mit dem berühmten Schriftsteller Jean Cocteau für eine klare und verständliche Sprache stark gemacht hat. Er ist ein wahnsinnig moderner Komponist, ohne schräg zu sein. Wirklich toll!
Vorerst gilt der Spielplan bis Ende des Jahres. Wie soll es ab Januar weitergehen?
Johannes Weigand: Wir haben die zweite Spielzeithälfte, bis auf den konzertanten „Rigoletto“, ja ganz bewusst noch nicht veröffentlicht. Ich fürchte, es wird schon ein Auf-Sicht-Fahren sein. Wir haben die geplanten Produktionen besetzt, die Leute haben ihre Verträge und es gibt im Moment keinen Grund, etwas abzusagen. „Rigoletto“ hatte jetzt auch Bauprobe, wir wissen also, wie es funktioniert. Es wird ein reduziertes Orchester sein, also nicht in der Stärke, die man normalerweise hat, aber es ist trotzdem ein echter Verdi.
Eine Produktion, die wir danach geplant hatten, „Flammen“, wird dann leider nicht kommen. Denn es ist ein Stück mit dramatischen Sängern und dem Ballett, das die ganze Zeit sehr aktiv ist. Das geht gerade nicht. Da wird dann aber die Tanzgala zu erleben sein. Mit dem Orchester auf der Bühne, auch das ist ohne Probleme möglich. Durch einen glücklichen Umstand haben wir im Ballett jetzt auch zwei Paare, die also sogar miteinander tanzen dürfen. (lacht)
Dann folgt ein Schauspiel, zu dem ich jetzt noch nichts verrate. Aber da muss sich im Grunde nur der Regisseur darauf einlassen, eine „Corona-gemäße“ Inszenierung zu machen. Was dann im Saal passiert, müssen wir sehen. Aber wir wissen auf jeden Fall, dass wir Sachen produzieren können. Und wir wissen, dass wir die beiden Inszenierungen, die wir schon im Herbst in den Saal hineinspielen, auch im Januar zeigen können.
Das ist auch gut so, denn wir haben ja kein altes Repertoire, das wir einfach wieder spielen könnten. Bei „Cabaret“ laufen 50 Leute auf der engen Drehbühne herum und werden von Kameras unterm Bett gefilmt, das bekommt man in diese Zeit natürlich gar nicht hinein. Auch das „Rößl“ wird warten müssen. Eigentlich habe ich mal gedacht, dass wir die Unterhaltungsproduktionen spielen sollten, sobald es irgendwie geht. Weil es das ist, was die Leute gerade dann brauchen und wollen. Aber genau die gehen gerade jetzt leider nicht.